Schlaflos in Oaxaca

(29. April – 16. Mai 2016)

Die ca. 800 km von Morelia nach Oaxaca legen wir innerhalb nur weniger Tage zurück. Mangels schöner Campingplätze oder sonstiger für uns lohnenswerter Dinge, gefällt es uns nirgends so richtig, und somit zieht es uns jedesmal gleich am nächsten Tag weiter. Das spannendste auf dieser Strecke ist die 1. Mai Party in Cholula, auf die wir spontan geraten und die von den Mexikanern laut und ausgelassen gefeiert wird, und ein Campingplatz im botansichen Garten Helia Bravo Hollis mitten in der Wüste, wo wir zur Abwechslung mal eine sehr ruhige Nacht verbringen. Sonst haben wir über diesen Teil Mexikos nicht viel zu berichten und erreichen nach wenigen Tagen die viel gerühmte Kolonialstadt Oaxaca im gleichnamigen Bundesstaat.

“Nahrungsaufnahme” vs Essen gehen

Was war uns nicht alles von Oaxaca berichtet worden. Es sei eine der schönsten Kolonialstädte Mexikos, hieß es da. Wir dürften die Stadt auf gar keinen Fall verpassen, hieß es woanders. Wer auch immer uns begegnet war, hatte Oaxaca als wunderschön und als einen Höhepunkt von Mexiko beschrieben, was die Erwartungen (die man natürlich am besten gar nicht haben sollte) schon in die Höhe getrieben hatten. Wir empfinden die Stadt schließlich als ‘ganz nett’ aber keinesfalls als ein absolutes Highlight. Ja, die Altstadt ist recht schön, aber nach allem was wir bisher schon in Mexiko gesehen haben, sind wir eher ernüchtert von Oaxaca. Der Markt ist eine  Enttäuschung und auch sonst fehlt uns hier etwas: echtes Mexiko! Irgendwie ist hier alles zu schick, zu aufgeräumt, zu modern. Selbst die kleinen Läden sind nicht mehr, wie bisher, vollgestopft bis in den letzten Winkel, sondern fast europäisch anmutend aufgeräumt mit viel Platz, und statt dem viel gelobten indigenen Kunsthandwerk finden wir eher moderne Kunst zu gesalzenen Preisen.

Allerdings hält Oaxaca eine ganz andere Attraktion für uns bereit: Es gibt hier nämlich einen McDonalds – eine absolute Seltenheit in ganz Mexiko! Ja, ihr habt richtig gelesen – McDonalds ist mittlerweile eine Attraktion für uns. Ich weiß auch was jetzt viele gleich spontan denken: “Bannausen, McDonalds in Mexiko! Wie kann man nur! Die sind ja schon total veramerikanisiert und können noch nicht einmal dort auf das Zeug verzichten. Und überhaupt, wie kann man nur diese alles vereinnahmende Kette unterstützen, wo man doch jeden Tag geniales mexikanisches Essen haben kann und noch dazu zum Spottpreis!” Genau das Gleiche hätten wir nämlich auch gedacht – bis wir dann schließlich persönlich nach Mexiko gereist sind und dort viel Zeit verbracht haben. Die Realität sieht nämlich so aus, dass wir das beste mexikanische Essen außerhalb von Mexiko hatten. In Mexiko selbst beschränkt sich essen gehen meist eher auf etwas, dass wir inzwischen als “Nahrungsaufnahme” bezeichnen. Überwiegend handelt es sich dabei um ein irgendwie geschnittenes (oder besser gesagt zerrupftes) und zubereitetes Stück Fleisch, Reis und Bohnen – alles unansehnlich auf einen Teller geklatscht, serviert mit einem Stapel trockener Maistortillas und mehr oder weniger gut gelungener scharfer Salsa. Kulinarische Höhepunkte gibt es mit Ausnahme von einigen Restaurants in Großstädten, nur wenige und insbesondere auf dem Land ist das Essen immer dasselbe und ausgesprochen einfallslos. Das was man so aus mexikanischen Restaurants im Heimatland gewöhnt ist, ist wie so oft eine Abwandlung, und in diesem Fall komplette Verfeinerung von der eigentlichen mexikanischen Küche. Wie hatten wir uns auf das mexikanische Essen in voller Fülle gefreut. Dinge wie “Huevos Rancheros”, ein klassisches mexikanisches Frühstück, das wir außerhalb Mexikos genial fanden, wollten wir uns hier ständig schmecken lassen, doch hatten wir es nach ein paar Versuchen vollständig aufgegeben, denn die unansehnliche Pampe, die uns da jedesmal serviert wurde, erinnerte nur im entferntesten an das was wir außerhalb Mexikos gegessen hatten. Gleiches gilt für Enchiladas, Fajitas und alles was man sonst so gerne beim Mexikaner isst. Die wenigen Highlights wie scharfe Fleischeintöpfe oder Tortas hat man schnell durch und auch dabei muss man ausgesprochenes Glück haben um etwas wirklich gut schmeckendes zu bekommen. Bis Oaxaca haben wir jedenfalls jegliche Illusionen auf schmackhaftes mexikanisches Essen aufgegeben und kochen lieber selber mit dem was das Angebot hergibt.

Allerdings ist essen gehen und sich um nichts kümmern zu müssen ab und an nun auch einmal schön; und mit McDonalds ist das so eine ganz besondere Sache. Das geniale daran ist in dem Fall nämlich, dass man weiß was man dort bekommt und wie man es bekommt. Es ist unserer Erfahrung nach die einzige Fast Food Kette, die ziemlich zuverlässig den fast gleichen Standard hält – egal wo man ist. Wenn man dort etwas bestellt, dann weiß man einfach so ungefähr was man bekommt. Und wenn einem nach der Xten kulinarischen Enttäuschung einfach nicht der Sinn nach mehr Experimenten steht, kann McDonalds – ohne es hiermit gleich verherrlichen zu wollen – geradezu eine Oase sein, in die man sich für einen Moment zurückziehen kann. Und das nicht nur um einen wohlbekannten Burger zu essen, sondern auch um in eine “neutrale” Zone einzutauchen, die fast beruhigend auf die Sinne wirkt – ja beruhigend – so seltsam das auch klingen mag. Nach Monaten ständig lautem bunten Zirkus, genießen wir es einfach, Mexiko zu einem Stück weit mal draußen vor der Tür zu lassen und uns einzig und allein dem Genuss eines weltweiten Einheitsburgers in bekannter und wohl klimatisierter Atmosphäre hinzugeben. Vielleicht etwas, dass erst nachvollziehbar wird, nachdem man selbst und hautnah mit Zelt für lange Zeit in fernen Kulturen unterwegs war.

Overlander Oasis

Von einer kleinen “Oase” geht es gleich zur nächsten, nämlich der Overlander Oasis im nur wenige Kilometer außerhalb von Oaxaca gelegenen Santa Maria del Tule – eine Art Mini Campingplatz, betrieben von den reiseerfahrenen und äußerst gastfreundlichen Kanadiern Leanne und Calvin, der sich zu einem richtigen Insider Tipp unter Gleichgesinnten entwickelt hat. Die Hauptattraktion des kleinen Ortes ist der riesige Arbol de Tule, eine Mexikanische Zypresse mit gewaltigen Ausmaßen – so gewaltig, dass sie als der Baum mit dem größten Durchmesser der Welt gilt und mehrere tausend Jahre alt geschätzt wird. Allein wegen diesem Baum lohnt es sich nach Oaxaca zu kommen, denn er ist wie ein eigenes kleines Universum, in dem alle möglichen Vögel, Insekten und wahrscheinlich noch jede Menge andere Tiere leben. Wir verbringen einen halben Nachmittag damit, um mehrfach um den Baum herumzuspazieren und immer wieder auf einer Bank sitzend, das quirlige Leben dort aus verschiedenen Perspektiven zu beobachten. Ein faszinierendes Erlebnis mitten in einem suburbanen Ambiente.

Wir bleiben gleich 11 Tage lang in der Overlander Oasis, was aber vor allem daran liegt, das einige Reparaturen am Auto notwendig sind. Schon im Voraus hatten wir Ersatzteile hierher schicken lassen, um deren Einbau sich Gary jetzt kümmert. Ich habe derweil mit mir selbst zu tun, denn mir geht es schlecht. Andere Langzeitreisende hatten es so beschrieben: Egal wie vorsichtig du bist, es wird passieren. Das scheint zu stimmen, denn ich liege mit Lebensmittelvergiftung im Bett, oder besser gesagt im Zelt oder draußen und das Klo ist seit einigen Tagen mein bester Freund. Schuld daran ist, so vermute ich, das Hühnchen mit Mole, eines der wenigen Spezialitäten Oaxacas, die man probiert haben muss – allerdings wohl besser nicht wie ich auf dem Markt in der Mittagshitze. Ja, mit der Vorsicht hatten wir es in letzter Zeit nicht mehr so genau genommen und prompt bekomme ich auch gleich die Rechnung dafür und fühle mich hundeelend. Gut dass wir gerade nicht unterwegs auf der Straße sind sondern bei Leanne und Calvin, die sich rührend um mich kümmern, während Gary mit dem Auto mehrfach zu verschiedenen Werkstätten fährt und dort ein ganz eigenes Abenteuer erlebt, das er noch ausführlich selbst erzählen wird.

Es dauert einige Zeit, doch dann sind der Landy und ich zum Glück wieder fit und wir können unseren Weg fortsetzen.

“Mexikanischer Dauerzirkus”

Mexiko ist ein faszinierendes Land, in dem wir die freundlichsten, gut gelauntesten und gastfreundlichsten Menschen getroffen haben, doch es ist auch anstrengend – vor allem wenn man dort ausschließlich im Zelt schläft. Irgendwas ist immer und irgendetwas oder irgendwer schafft es dort fast jede Nacht einem den Schlaf zu rauben. Die Mexikaner sind ein extrem feierfreudiges Volk, was bedeutete dass es am Wochenende grundsätzlich laut ist – egal wo man ist. Es gibt keine Nachtruheregeln und Privatssphäre ist ein Fremdwort. So heißt es immer wieder “wenn du schlafen willst, dann geh’ dort nicht am Wochenende hin.” Nur – irgendwo muss man eben am Wochenende hin und es ist egal wo man ist – überall spielt sich das gleiche lautstarke Spektakel ab. Damit nicht genug, geht es auch unter der Woche nicht gerade leise zu. Schuld daran ist zum einen die Kirche. Genauso feierfreudig, ist man hier ganz begeistert davon Knaller in die Luft zu jagen. Und damit sind nicht harmlose kleine Silvesterknaller gemeint, sondern eher die Sorte Böller, die in Deutschland verboten und daher gerne illegal in Polen besorgt wird. Also die Sorte, die mit einem lauten “WUMM” explodiert, dabei die Vibration im ganzen Körper zu spüren ist und man garantiert mit Adrenalinschub senkrecht im Bett steht wenn man eben noch geschlafen hat. Gründe für ohrenbetäubendesFeuerwerk gibt es fast täglich: Jemand hat Geburtstag, jemand ist gestorben, Hochzeit, Jubiläum oder Taufe… Und wenn es das alles gerade nicht gibt, dann hat sicher irgendein Heiliger gerade Geburtstag oder Namenstag oder sonstwas – jedenfalls gibt es immer einen Grund zum Knallen – und das zu jeder noch so unchristlichen Zeit. Selbst wenn es davon mal einen oder ausnahmsweise sogar 2 Tage Pause gibt, dann sind da garantiert unzählige Straßenhunde, die immer erst nach Einbruch der Dunkelheit aufzuwachen scheinen und dann die Energie los werden müssen, die sie den ganzen Tag lang faul im Schatten liegend getankt haben und sich nun die ganze Nacht durch einen Bellwettbewerb liefern. Sollten einmal keine Hunde da sein, erledigen diesen Job dann die unzähligen Hähne, die hier grundsätzlich nicht mit Sonnenaufgang aufstehen, sondern mitten in der Nacht, dann durchkrähen bis zum Morgen um dann pünktlich zum Sonnenaufgang ruhig zu werden. Jedenfalls raubt einem irgendetwas in Mexiko fast immer den Schlaf, oft auch alles zusammen, und nach Monaten hier spüren wir deutlich, dass wir langsam einen ausgeprägten Schlafmangel entwickeln, der sich auf unsere Stimmung auswirkt.

So sind wir nicht nur genervt, sondern sogar richtig schlecht gelaunt als wir am Hierve el Agua, einem beeindruckenden versteinerten Wasserfall, auf einem ruhigen Platz unser Lager aufschlagen und pünktlich zur Schlafenszeit gegen 23:00 Uhr noch eine Gruppe Mexikaner ankommt, ihr Zelt trotz kilometerweitem Platz, direkt neben uns aufschlägt, Musik auspackt und Party macht bis 7:00 Uhr morgens. Diskussionen bringen da nichts, einmal weil unser Spanisch dafür bei weitem nicht ausreicht, und zum Zweiten weil Privatsspähre in Mexiko einfach nicht existiert. Man freut sich hier, wenn man dicht zusammen campt, niemandem würde es einfallen weit weg von seinem Nachbarn sein Zelt aufzuschlagen und das Zelten gleich Party bedeutet ist selbstverständlich. Auch würde es niemandem einfallen, sich über fehlende Nachtruhe zu beschweren, denn hier aufgewachsen haben die meisten sowieso einen unerschütterlichen Schlaf und außerdem lebt man für heute, für das hier und jetzt. Was morgen kommt, ist ersteinmal egal. Ob man morgen müde und verkatert auf die Arbeit geht ist heute vollkommen uninteressant. Heute wird genauso hart gefeiert wie gestern gearbeitet wurde und was morgen bringt weiß man jetzt sowieso noch nicht. Das ist eine wunderbare Lebenseinstellung, von der wir verkopften Industrieländer so einiges lernen können und sollten, trotzdem kann es für Nicht-Mexikaner wirklich schwer sein, in diesem Land genug Schlaf zu bekommen. Wir sind heute jedenfalls so richtig entnervt von dem ständigen Lärmpegel und schmieden Rachegedanken, in denen wir uns ausmalen, am liebsten die schlechteste Mariachi Band Mexikos für den nächsten Morgen zu engagieren und diese dann gut dafür zu bezahlen, dass sie stundenlang lautstark um das Zelt der nun ruhig schlafenden Partylöwen tanzt.

Höllenhitze

Bisher hatten wir uns ausschließlich in den bergigen Regionen von Mexikos Festland aufgehalten in Höhen um die 2000m und das heiße Tiefland eher gemieden. Schon auf dieser Höhe wird es nachmittags oft fast unerträglich heiß, doch läßt es sich dort noch ganz gut aushalten und nachts kühlt es langsam runter, so dass man zumindest am nächsten Vormittag ganz angenhme Temperaturen hat. Doch nun kommen wir um die Hitze nicht mehr herum, denn um ins bergige Chiapas zu kommen, müssen wir ersteinmal runter und mehrere Tage durch eine äußerst heiße Zwischenzone. Schon im Wetterdiagramm hatte wir beunruhigt gesehen, dass dort regelmäßig Temperaturen von 40 °C im Schatten angezeigt werden! Nachts kaum Abkühlung und vor allem ich frage mich, da ich keinerlei Erfahrung mit tropischer Hitze habe, wie wir das überhaupt aushalten sollen? Kippt man da nicht einfach irgendwann um? Und war da nicht mal was, dass ab 40 °C Eiweißgerinnung anfängt? Also wie lange halten das dann wohl meine Gehirnzellen aus wenn sie den ganzen Tag lang gebraten werden – schließlich haben wir überhaupt gar keine Rückzugsmöglichkeit. Gary amüsiert sich zumindest über meine Horrorgedanken und lacht, doch mir ist ernsthaft nicht ganz wohl bei dem Gedanken bald in dieses Gebiet zu fahren. So genießen wir ersteinmal noch die kühle Morgenluft beim auf ca. 1800m gelegenen Hierva del Agua und begeben uns dann auf die lange Fahrt nach unten. Zuerst wird es einfach nur angenehm warm, dann begleitet vom Gesang der allgegenwärtigen Zikaden heiß und schließlich auf einer Höhe von unter 500m brutal heiß! Der Fahrtwind fühlt sich an, als hätte jemand eine Backofentür aufgemacht und wir fahren mitten durch das vorgeheizte Ofenrohr. So etwas haben wir beide noch nicht erlebt. Die Hitze kommt mit einer derartigen Heftigkeit, dass fast das Atmen schwerfällt und nichts scheint Erleichterung zu verschaffen. Der Fahrtwind bringt praktisch gar nichts mehr, mit geschlossenen Fenstern ist es aber auch völlig unerträglich. (Falls wir es bis jetzt noch nicht erwähnt haben: natürlich hat unser Landy keine Klimaanlage.) Nach einiger Zeit kommen wir an einer Tankstelle vorbei, die uns wie eine rettende Oase erscheint. Ich stürze zum WC, spritze mir Wasser ins Gesicht und befeuchte schließlich meine Harre und auch meine Sachen um wenigstens ein bißchen Abkühlung zu bekommen. Wir kommen auf die Idee uns nasse Handtücher um den Nacken zu hängen und besorgen uns eisgekühlte Getränke im Tankstellenshop. Als ich den klimatisierten Raum betrete, in dem sicher noch über 20 °C sind, kommt es mir vor wie im Kühlschrank, und beim hinausgehen ist es noch schlimmer. Es fühlt sich an, als sei die Temperatur in knapp 2 min nochmals ein gutes Stück nach oben geklettert. Unser Autothermometer zeigt mittlerweile 46 Grad an, ein Rekord auf dieser Reise! Und wir fragen uns, wie wohl die Einheimischen diese brutale tropische Hitze aushalten…Offensichtlich auch nicht viel besser als wir, stellen wir fest, denn neben uns parkt ein Pickup voll mit Leuten auf der Ladefläche, die genauso mitgenommen aussehen wie wir und sich abwechselnd Luft zufächeln. Mit einem halben Liter eiskalter Cola und nassen Sachen fühlen wir uns zumindest etwas besser und setzen unsere Fahrt durch die “Hölle”, wie wir es empfinden fort.

Aus Mangel an anderen Alternativen in dieser Region, ist unser heutiges Übernachtungsziel ein “Balneario”, also ein Naturschwimmbad, in dem wir auf dem bewachten Parkplatz übernachten können. Es ist Sonntag und von iOverlander, der App die wohl jeder Langzeitreisende kennt und die auch wir seit einiger Zeit zur Reiseplanung benutzen, wissen wir, dass dies ein Ort ist, den man am Wochenende besser meidet wenn man Ruhe haben will und so sind wir bereits vorbereitet auf das was dort aller Wahrscheinlichkeit nach los ist. Allerdings waren wir in keinster Weise gefasst auf das, was uns tatsächlich erwartet als wir am Nachmittag schweißgebadet ankommen und der Ausdruck “mexikanischer Zirkus” erscheint mehr als passend. Das gesamte Gelände ist vollgestopft bis auf den letzen Zentimeter mit Großfamilien, die mit riesigen Kühltaschen, Stühlen, Tischen, Decken und Spielzeug angereist sind und hier eine einzige große Party zu feiern scheinen. Nichts was wir bisher mit dem Begriff “voll” bezeichnet hatten kommt auch nur annähernd an das Bild heran, das sich uns hier bietet. Völlig überwältigt von der Hitze und dem Schauspiel wissen wir ersteinmal gar nichts mit uns anzufangen. An Camping ist überhaupt noch nicht zu denken, selbst parken gestaltet sich schon schwierig genug und wir quetschen uns schließlich erschöpft in eine Lücke zwischen 2 Pickups, setzen uns in den Schatten eines großen Mangobaums und schauen dem zu, was da vor unseren Augen stattfindet. Es ist immer wieder schön und herzerwärmend zu sehen, wie Familien vom Baby bis zur Ururgroßmutter in Mexiko zusammen ihren Sonntag verbringen. Allerdings ist die Szenerie hier fast surreal und wir kommen uns vor als würden wir einen Film schauen. Lange hält das ganz große Spektakel jedoch sowieso nicht an, denn es ist schon später Nachmittag und die meisten Familien rüsten sich langsam für den Aufbruch. Kisten, Kühltaschen und Menschen werden wieder auf die Pickups geladen oder quetschen sich zu 8 oder mehr in kleinere Autos und nach und nach lichtet sich das Chaos, bis schließlich kurz vor Einbruch der Dunkelheit nur noch die Snackstandbetreiber da sind, die wie vieles in Mexiko ausschließlich am Wochenende geöffnet haben. Übrig bleibt ein Chaos der ganz anderen Art: Die Menschen sind zwar weg, jedoch nicht ihre Hinterlassenschaften. Es gibt zwar im ganzen Schwimmbad unzählige Mülleimer, die sogar vorbildlich zur Mülltrennung aufrufen, doch auf die Idee da auch tatsächlich etwas reinzuwerfen kommen nur die allerwenigsten – den Müll dann auch noch laut Anweisung zu trennen wird ohnehin völlig ignoriert und so findet sich in allen Eimern grundsätzlich alles. Jedenfalls sieht das gesamte Gelände jetzt aus wie eine einzige Müllhalde. Überall liegen Pappteller, Plastikbecher, Chipstüten, Coladosen abgelutschte Mangosteine und teilweise sogar dreckige Babywindeln herum. Es sieht aus als hätte hier eine Bombe eingeschlagen oder wäre gerade ein Müllwagen explodiert. Für uns ein absolut denkwürdiger Anblick, für den Schwimmbadwächter nichts Besonderes. So sieht es hier eben immer nach dem Wochenende aus. Morgen wird es dann weggeräumt. Das meiste zumindest, denken wir. Einiges landet sicherlich auch im Fluss, der durch das Gelände fließt und die einzelnen Becken versorgt. Der Umgang und die Einstellung zu Müll ist ein großes ungelöstes Problem in Mexiko – etwas das uns immer wieder schockiert und traurig macht.

Mit Sonnenuntergang fällt die Temperatur zum Glück ein wenig. Es ist zwar immernoch extrem heiß, jedoch nicht mehr vollkommen unerträglich – solange man sich nicht bewegt zumindest. Wir finden einen Platz zwischen all dem Müll, wo wir unser Dachzelt aufschlagen und da wir so langsam auch Hunger haben, bauen wir den Kocher auf, was sogleich einiges an Aufmerksamkeit auf sich zieht. Neugierig kommen ein paar Frauen von den benachbarten Ständen herüber und schauen was wir denn da so machen. Unser Kocher, Tisch, Töpfe, einfach alles wird genauestens inspiziert, denn sowas hat man hier noch nie gesehen. Schließlich fragt man auch, was ich denn koche, und da wir keine Ahnung haben was Bratkartoffeln auf spanisch heißt, antworten wir einfach mit “Papas alemanes” (deutsche Kartoffeln). Das weckt nun vollends die Neugier unserer Nachbarn und bald stehe ich hinter dem Herd dicht umringt von einer ganzen Schar Leute, die alle wissen wollen wie man denn “deutsche Kartoffeln” zubereitet. Immer wieder hört man “papas alemanes, papas alemanes” in der Runde und alle Blicke sind mit großem Interesse auf mich und die Gußeiserne Bratpfanne gerichtet, die jetzt zum Vorschein kommt. Bratkartoffeln stehen ganz offensichtlich nicht auf dem mexikanischen Speiseplan, denn immer wieder hört man ein erstauntes “Ah” oder “Oh” in der Runde und ich schwanke zwischen gerührt sein über so viel kindliche Begeisterung und Befremdlichkeit bei so viel völlig ungehemmter Annäherung. Wir befürchten schon fast, das vom Essen nichts mehr für uns übrig bleibt, wenn wir alle probieren lassen, doch bis die Bratkartoffeln endlich fertig sind wird es spät und bis dahin haben die meisten dann doch schon gepackt und sich auf den Heimweg gemacht. Schließlich wird es ruhig um uns herum und da wir auch ein gutes Stück außerhalb der nächsten Ortschaft sind, rechnen wir zur Abwechslung mal mit einer ruhigen Nacht. Doch nicht in Mexiko: eigentlich hätten wir es uns ja denken können, denn pünktlich um 23:00 fährt nochmals ein voll beladener Pickup mit lautstarker Musik vor zum Nachtschwimmen. Hoch erfreut, hier noch Leute anzutreffen parkt er auch trotz nun Unmengen an Platz direkt neben uns, ist begeistert über ein Gespräch und stört sich auch nicht an dem Umstand dass wir schon in unserem Schlafzeug und gerade beim Zähneputzen sind. An Schlaf ist jedenfalls in den nächsten Stunden wieder einmal nicht zu denken. Nun ja, es ist ohnehin immernoch drückend heiß und anscheinend gehört das einfach zum Abenteuer Mexiko.

 

Mehr bei Flickr: Schlaflos in Oaxaca