Guatemala – Ankunft in Zentralamerika

( 1. Juni – 3. Juli 2016)

Wir sind kurz vor der Grenze des ersten zentralamerikanischen Landes auf unserem Weg nach Süden und haben absolut keine Ahnung, was uns dort erwartet. Am Anfang unserer Reise war es für uns noch nicht einmal in Frage gekommen, dieses Land überhaupt zu bereisen, denn alles was es beim auswärtigen Amt und anderen Berichten darüber zu lesen gab, hatte nach glattem Wahnsinn geklungen. Auch sonst war uns bis jetzt nur wenig Gutes über Guatemala zu Ohren gekommen, dafür umso mehr Horrorgeschichten. Ursprünglich wollten wir sogar einen weiträumigen Bogen über Belize fahren und nur ein absolut notwendiges Stück ganz im Süden möglichst zügig durchqueren. Doch wie so oft hatten sich im Laufe der Reise unsere Pläne und Ansichten drastisch geändert und nun befinden wir uns mit einigem Herzklopfen auf den letzten Kilometern kurz vor der Grenze um das Land nun doch der gesamten Länge nach zu bereisen.

La Mesilla – Grenzübergang nach Guatemala

Das was man woanders als Grenze bezeichnet sieht in Zentralamerika völlig anders aus – das lernen wir ganz schnell. Es ist unser zweiter lateinamerikanischer Grenzübergang, unser Spanisch befindet sich immernoch auf einem fast nicht existenten Niveau und nach allem was wir gehört und gelesen haben wird es eine elende, komplizierte, chaotische und lange Prozedur werden, auf die man sich besser seelisch und moralisch vorbereitet. Am Grenzort angekommen, wird uns auch sogleich klar, was damit gemeint war, denn es ist gar nicht eindeutig, wo denn nun eigentlich die Grenze ist. Irgendwo im bunten Getümmel von La Mesilla befindet sich das Grenzgebäude, oder besser gesagt gleich mehrere davon. Der Ort ist vollgestopft mit Tiendas, Straßenverkäufern, Garküchen, bunten Trucks, Tuc-Tucs, Hunden und Unmengen an Menschen. Hier scheint das volle Chaos zu herrschen, Parkplätze gibt es keine und Hinweisschilder schon gar nicht. Der Lärmpegel ist enorm; die Stimmen der Straßenverkäufer mischen sich mit Hundegebell, Motorenlärm und immerwährendem Gehupe. Ziemlich überwältigt von dem Ganzen stellen wir das Auto schließlich im allgemeinen Gedränge auf der Straße ab und begeben uns zu dem was am ehesten nach Grenzgebäude aussieht. Eigentlich ist es weniger ein Gebäude, in das man hineingeht sondern eher eine Art Schalter, vor dem man draußen stehen bleibt und durch ein Fenster spricht. Gewappnet mit Wörterbuch und darauf gefasst, hier jetzt einige unangenehme Stunden zu verbringen, reichen wir schließlich unserer Papiere durch das Fenster, froh darüber dabei das Auto im Blick behalten zu können. Doch zu unserem großen Erstaunen läuft alles ganz einfach. Der Grenzbeamte nickt uns freundlich zu und trotz unserer lausigen Sprachkenntnisse läuft die Kommunikation erstaunlich gut. Es sieht zwar chaotisch aus, doch folgt ein Schritt wohl sortiert dem Nächsten. Er bedeutet uns, in einem Kiosk Kopien von verschiedenen Papieren zu machen und nach recht kurzer Zeit halten wir unsere Pässe samt Einreisestempel sowie die temporäre Einfuhrerlaubnis für das Auto in den Händen. Das Einzige was jetzt noch fehlt ist die obligatorische Autoversicherung. Als wir danach fragen scheint jedoch niemand eine Ahnung zu haben wovon wir eigentlich reden. “Braucht ihr nicht”, lautet die einstimmige Aussage. Wir sind anderer Meinung. Nach allem was wir vorher in Erfahrung bringen konnten, ist eine Autoversicherung theoretisch schon vorgeschrieben, doch hatten wir auch von anderen Reisenden gehört, das es schwierig sein könnte, sie zu bekommen. An unserem Grenzübergang scheint es jedenfalls nicht nur schwierig sondern einfach vollkommen unmöglich zu sein. Nach kurzem Überlegen beschließen wir also ohne zu fahren und uns nicht weiter Gedanken darum zu machen – unsere erste Lektion in der Auslegung zentralamerikanischer Gesetze, und was bleibt uns schließlich auch anderes übrig? Was auch immer uns jedenfalls vorher an Geschichten über den Grenzübergang nach Guatemala zu Ohren gekommen war, wir können es nicht bestätigen. Nach knapp 1,5 Stunden sind wir mit allem fertig – ein Kinderspiel auch ohne besondere Spanischkenntnisse. Froh darüber wie unerwartet einfach und schnell alles vonstatten ging, fangen wir an das geschäftige Treiben um uns herum zu genießen. Wir nehmen die Gerüche in uns auf, die bunten Farben, die tropisch heiße Luft und das gesamte pulsierende Leben um uns herum. Wir sind in Guatemala! Als wir langsam aus La Mesilla heraus fahren, fallen mir zum ersten Mal die Nummernschilder auf, auf denen jetzt “Centroamerica” steht und mein Herz macht einen freudigen Satz. “Kannst du es fassen?”, frage ich Gary aufgeregt. “Wir sind in Zentralamerika! Und wir sind hierher gefahren!” Wir schauen uns an und haben beide ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Ja, jetzt sind wir tatsächlich in Zentralamerika. Jegliche Gefühle vom Reisetief der letzten Woche sind damit wie weggeblasen und freudig aufgeregt wie kleine Kinder legen wir die ersten Kilometer auf zentralamerikanischem Boden zurück.

Huehuetenango

Die erste Nacht verbringen wir nach nur kurzer Fahrt in Huehuetenango. Der Ort mit dem unaussprechlichen Namen (spricht sich wewetenango) ist Hauptstadt der gleichnamigen Provinz und wir finden Unterschlupf auf dem Parkplatz des Hotels Fuente Real, dass sich unter Overlandern bereits einen Namen gemacht hat – nicht zuletzt auch wegen des äußerst guten italienischen Restaurants, dass man hier ganz sicher nicht erwarten würde. Ab jetzt ist uns iOverlander (die App, die sicherlich jeder Langzeitreisende benutzt) bei der Suche eines Übernachtungsplätze eine große Hilfe, denn richtige Campingplätze sind von nun an rar und bei der Auswahl des Übernachtungsplatzes steht vor allem eins an erster Stelle: Sicherheit. Dinge wie schön gelegen oder ruhig müssen sich da hinten anstellen, doch zum Glück ist es nicht schwierig in Zentralamerika einen sicheren Übernachtungsplatz zu finden, wie sich zu unserer Erleichterung schnell herausstellt. Sicherlich wäre ein neonbeleuchteter Hotelparkplatz neben einer befahrenen Hauptstraße sonst nicht unsere erste Wahl, doch hier sind wir froh und dankbar dafür und verbringen eine zwar nicht gerade ruhige, dafür aber sorgenfreie Nacht. Nach einem kurzen ersten Ausflug in die umliegenden Berge nach Todos Santos, das vor allem berühmt ist für die außergewöhnliche und bunte Tracht der Männer, geht es für uns weiter durch das Hochland zum sagenumwobenen Atitlan See. Von Vulkanen und kleinen Dörfern umgeben, beschreiben ihn manche als den schönsten See der Erde. So weit würden wir sicher nicht gehen, doch ja, der Lago Atitlan ist malerisch, der Ausblick von der Höhe gigantisch und die Fahrt zu seinen Ufern aufregend schön.

Von Huehuetenango aus folgen wir der Panamericana, die sich bald stetig bergan schlängelt über einen ca. 3000m hohen Pass und genießen die zur Abwechslung kühle Bergluft hier oben, bevor es wieder ins tiefer gelegene tropische Klima geht.

Fahren in Guatemala ist gefährlich, das wird uns schon nach wenigen Kilometern bewusst. Hatten wir bereits in Mexiko den Fahrstil für halsbrecherisch und rücksichtslos gehalten, so müssen wir jetzt feststellen, dass es dort vergleichsweise noch ganz gemütlich zugegangen war, denn hier wird einfach grundsätzlich Vollgas gegeben. Drängelei, riskante Überholmanöver und haarscharfes einscheren sind an der Tagesordnung und auf der Fahrt läuft uns so manches Mal ein kalter Schauer über den Rücken, als wir mehr als nur einmal die Zeugnisse der Raserei als völlig demolierte Bus- und Autowracks in den steilen Abhängen der Berge um uns herum liegen sehen. Auf der gut ausgebauten Panamericana gibt es zumindest noch einiges an Ausweichplatz, ganz anders wird es jedoch als wir sie verlassen um über kleine Straßen zu den Ufern des Lago Atitlan hinab zu fahren. Wir durchqueren mehrere Dörfer auf vollgestopften engen Gassen und bewundern die für Guatemala typischen, kunstvoll verzierten, knallbunten Busse, dann geht es eine steile kurvige Bergstraße hinab. Eben noch bewundert, jagen uns jetzt diese Busse Adrenalinschübe durch den Körper und Schweißperlen auf die Stirn, denn die Fahrer geben bergab Gas als wäre der Teufel hinter ihnen her, überholen in fast jeder blinden Kurve und scheinen völlig auf gut Glück unterwegs zu sein. Von unten kommen uns vollbeladene Pickups, Tuc-Tucs und andere Busse entgegen und mehrfach halten wir die Luft an in dem festen Glauben, dass es vor uns gleich kracht, nur um den Bus dann im allerletzten Moment fast millimetergenau doch noch rechtzeitig wieder einscheren zu sehen. Völlig angespannt erreichen wir schließlich unser Ziel Panajachel und atmen ersteinmal erleichtert durch. Autofahren in Guatemala ist in jedem Fall eine nervenstrapazierende Angelegenheit.

Ankunft in Panajachel

Das Dorf Panajachel ist nicht nur wegen der Schönheit des Atitlansees unser Ziel, sondern auch aus einem ganz anderem Grund: Wir finden dass es jetzt endlich einmal an der Zeit ist, ernsthaft etwas für unsere Spanischkenntnisse zu tun. Bisher haben wir uns zwar auch so ganz gut durchgeschlagen, doch liegen noch viele lateinamerikanische Länder vor uns und wir wollen uns endlich richtig mit den Einheimischen unterhalten können. Guatemala ist bekannt für seine Sprachschulen; in fast jedem Ort kann man Spanisch lernen – zu unschlagbar günstigen Preisen, und daher stand schon lange fest, hier eine Pause dafür einzulegen. Doch zuerst einmal wollen wir den Ort und mehr von der guatemaltekischen Kultur erkunden. Panajachel ist wie die meisten Orte am Lago Atitlan recht touristisch, doch ist man in Guatemala nie weit weg vom authentischen Leben. Sowie man nämlich von der mit unzähligen Verkaufsständen übersäten “Touristenmeile” abbiegt, befindet man sich sofort im unverfälschten Guatemala. Bunte Häuser und Hütten mit Wellblechdächern säumen die engen Gassen, durch die sich Fußgänger, Mopeds und die unzähligen Tuc-Tucs (das gebräuchlichste Fortbewegungsmittel in Guatemala) zwängen. Der größte Teil der Bevölkerung ist indigen und so ist das Straßenbild vor allem von in wunderschöne traditionelle Tracht gekleideten Frauen geprägt, und selbst die Männer tragen hier noch oft stolz die zum Teil knallbunte traditionelle Kleidung. Jedes Dorf hat seine eigenen Farben und Muster, die in aufwendiger Handarbeit angefertigt werden und es ist ein wahres Fest für die Augen, einfach durch die Straßen zu spazieren und dabei diese Farbenpracht und Kunstfertigkeit zu bestaunen. Dabei darf man sich allerdings nicht zu sehr verlieren; Gehsteige gibt es meist keine und man muss ständig auf der Hut sein, denn die Tuc-Tucs legen einen mindestens genauso rasanten Fahrstil an den Tag wie die Busse. Wer noch nie in Guatemala war, der wird wie wir einfach fasziniert davon sein, wie viel Leben hier herrscht. Alles ist bunt, überall gibt es Straßenverkäufer, an jeder Ecke Tortilla Stände mit frisch zu jeder Mahlzeit handgefertigten Maistortillas. Wir werden von voll beladenen Pick-ups überholt, auf deren Ladefläche sich die Menschen bis auf den letzten Millimeter zusammenquetschen; auf den zahlreichen Mopeds fahren die Frauen üblicher Weise wegen ihrer langen Röcken seitlich sitzend hinter ihren Männern mit, oft sieht man aber auch 4 bis 5 köpfige Familien auf einem einzigen Moped! In der nächsten Straße bewundern wir die knallbunten Busse – jeder einzelne ein individuelles Kunstwerk. Der Duft von frisch gebackenem Brot aus den Bäckereien mischt sich mit dem von tropischem Obst und gebratenem Fleisch von den Straßengrills; und den Höhepunkt erreicht das ganze Spektakel auf dem Markt. Ähnlich den mexikanischen Märkten, die wir schon besucht hatten, ist es hier fast noch voller, vor allem aber bunter. Von riesigen Ständen, die überquellen mit frischem regionalen Obst bis hin zu auf dem Boden ausgebreiteten gerade geernteten Kräutern und Gemüsen findet man hier alles. Wieder ist es ratsam, die Fleischsektion zu meiden, doch generell ist der Besuch des Marktes von Panajachel jedesmal ein Erlebnis.

Neben dem ganzen bunten Spektakel fällt uns jedoch auch ein gravierendes Detail auf: Die viel höhere Waffenpräsenz. Praktisch vor jedem öffentlichen Gebäude, vor allem aber vor Banken und Supermärkten steht ein bewaffneter Wachmann, in fast jedem Lieferwagen sitzt ein bewaffneter Beifahrer und das Ganze nicht mit irgendeiner Waffe, sondern meist mit abgesägter Flinte vor der Brust. Auf mich wirkt das ersteinmal ziemlich befremdlich, ja erschreckend und fast paradox. Auf der einen Seite das bunte fröhliche Leben und auf der anderen überall Wachmänner und Waffenpräsenz. Doch ist es immer wieder erstaunlich, wie schnell man sich an befremdliche Dinge gewöhnt. Hatten mir die vielen Waffen am ersten Tag noch ein ganz mulmiges Gefühl gegeben, so gehören sie nach einiger Zeit einfach zum Straßenbild und ich bemerke sie fast gar nicht mehr.

“Jabel Tinamit” – weit mehr als einfach nur spanisch lernen

Nach etwas Recherche fällt uns die Auswahl einer Sprachschule leicht:  “Jabel Tinamit”. In der 100% Maya geführten Schule kann man nicht nur Spanisch, sondern auch Kakchikel, den äußerst interessanten regionalen Mayadialekt lernen, und die Inhaber Candelaria und Gregorio leisten hier nicht nur einen guten Job, sondern eine ganzes Lebensprojekt, das die Erhaltung alter Traditionen, Unterstützung Bedürftiger, Förderung der Schulbildung und die Verbindung von ausländischen Studenten mit Einheimischen unterstützt. Die Lehrer sind alle ausnahmslos fantastisch und es herrscht eine wunderbar familiärer Atmosphäre. Dank tropischem Klima ist das gesamte Haus eine offene Konstruktion und der Unterricht findet somit nicht etwa in abgeschlossenen Räumen statt, sondern wann immer möglich draußen im Garten oder auf der halboffenen Dachterasse. Es ist einfach herrlich in solcher Umgebung eine Sprache zu lernen, dabei den Duft der tropischen Blüten einzuatmen und immer wieder von Kolibris umschwirrt zu werden. In den Pausen trifft man sich in der offenen Veranda zu Tee, Kaffee und Keksen und zum gemütlichen Entspannen auf einem der Sofas. Von der Decke wachsen wie an langen Lianen trompetenartige Blüten, die ihren süßen Duft verbreiten und somit auch hierher immer wieder Kolibris anziehen. Das Ganze hat eine fast zauberhafte Atmosphäre – keine Frage, wir fühlen uns auf Anhieb wohl, überlegen nicht lange und melden uns direkt für die ganze nächste Woche an.

Unsere Herzensfamilie in Guatemala

Von Anfang an war Gary begeistert von der Idee, nicht nur Sprachunterricht zu nehmen, sondern dabei auch gleich bei einer Gastfamilie zu wohnen. Ich war dagegen alles andere als begeistert von dieser Idee, denn ich habe sozusagen ein mehrfaches Gastfamilientrauma. Mit sechzehn bei einem Sprachkurs in England hatte ich mit gleich drei Familien äußerst schlechte Erfahrungen gemacht und bin deshalb keineswegs erpicht darauf, dies zu wiederholen. Hinzu kommen solche nicht gerade vorurteilsfreien Gedanken, wie “Wenn es schon in England so schrecklich war, wie soll es dann erst in einem Entwicklungsland wie Guatemala sein…” Gary ist anderer Meinung und findet außerdem, dass mein “Trauma” der Bearbeitung bedarf, und so willige ich schließlich ein es zumindest zu versuchen – schließlich ist die Situation jetzt vollkommen anders als damals und wir könnten ja jederzeit wieder gehen, falls es uns nicht gefällt. “Wollt ihr die Familie vielleicht ersteinmal kennen lernen?”, schlägt uns Candelaria, meine Sorgen erratend, mit einem warmherzigen Lächeln vor. Dabei gibt sie uns schon jetzt so ganz nebenbei gleich mal ein paar Spanisch Lektionen noch bevor unsere Schulwoche überhaupt angefangen hat und arrangiert ein sofortiges Treffen mit unserer potenziellen Gastfamilie.

"Unsere" Familie

Ich hatte ja so ziemlich mit allem gerechnet, aber ganz sicher nicht mit Angel und Luki und deren vollkommen außergewöhnlicher Gastfreundschaft. Von Anfang an sind uns die beiden samt ihrer 3 Kinder Ezras, Susan und Alondra sympathisch und trotz aller vorheriger Skepsis fällt die Entscheidung sehr leicht und wir ziehen schon am nächsten Tag bei ihnen ein. Für das Auto findet sich ein sicherer Stellplatz direkt nebenan bei den benachbarten Autowäschern und wir bekommen ein schönes Zimmer sogar mit Balkon! Ganz entgegen unserer Erwartungen, und meinen Befürchtungen, ist Angels und Lukis Haus groß, hell und gemütlich und wir freuen uns nun ehrlich auf eine Woche Familienanschluss, auf nicht kochen und überhaupt uns mal um gar nichts kümmern müssen. Trotz der noch großen Sprachbarriere werden wir schnell mit Luki und Angel warm. Sie sind es gewöhnt mit kaum spanisch sprechenden Ausländern umzugehen, äußerst geduldig und ehrlich an ihren Gästen interessiert.

Unser “Schulweg” führt mitten durch den lebhaften Ort und über den bunten Markt, auf dem es jeden Tag etwas anderes zu sehen gibt. Nicht so richtig wissend, wie man denn so einen Sprachkurs angeht, haben wir täglich vier Stunden Einzelunterricht gebucht – ein enormes Pensum – zumindest für uns – wie sich bald herausstellt, denn nach vier Stunden Spanisch in der Schule, geht es natürlich sofort “zu Hause” weiter mit Spanisch beim Mittagessen, dazu noch Hausaufgaben, sonstige Aktivitäten in der Schule, und beim Abendessen und danach noch viel mehr Spanisch. Quasi von null auf hundert innerhalb kürzester Zeit. Wir machen schnell Fortschritte, doch raucht uns nach einigen Tagen auch ungeheuer der Kopf. Es gibt da einige Leute, die geben sich das besagte Programm sogar mit sechs Stunden Unterricht täglich – für uns so eine Art Übermenschen – doch wir stellen bald fest, das vier Stunden unser absolutes Maximum sind.

Nach zwei Tagen in unserem neuen Leben wird klar, dass eine Woche viel zu wenig ist. Mit einer Woche intensiv Spanisch kommen wir noch nicht weit, doch eigentlich ist es gar nicht diese Tatsache, die uns über eine zweite Woche nachdenken lässt, sondern “unsere” Familie. Nach nur kurzer Zeit haben wir alle bereits so ins Herz geschlossen, dass wir auf gar keinen Fall nach nur einer Woche schon wieder weiter ziehen wollen. Es ist einfach schön, hier Zeit zu verbringen. Angel und Luki sind die gastfreundlichsten und herzlichsten Menschen die man sich vorstellen kann. Sie freuen sich über “Leben im Haus”, wie sie uns sagen, sind interessiert an allem Neuen und Lachen für ihr Leben gern. Es vergeht kein gemeinsames Essen, bei dem nicht so ausgiebig gelacht wird, dass man sich den Bauch halten muss oder irgendjemand fast unter dem Tisch liegt. Angel liebt es Späße zu machen und noch mehr wenn dieser Spaß erwidert wird. Schnell lernen wir, wie in jeder Sprache, die “wichtigen” Dinge zuerst: alle möglichen Schimpfwörter, Witze und Anmachsprüche. Und als wir Angel schließlich mit unserem neu erworbenen Sprachschatz die Bedeutung von “Holz vor der Hüttn” auf spanisch beibringen, kann er sich gar nicht mehr beruhigen und ist völlig begeistert einen neuen Insiderspruch gefunden zu haben, den außer ihm niemand kennt. Bei jeder Gelegenheit hören wir ihn jetzt ein “Que Leña” in die Runde werfen, was soviel heißt wie “was für Holz” und sich dabei jedesmal kugelig lachen. Soviel Freude ist ansteckend und wir genießen jeden Tag des Familienlebens, das wir ja so auf der Reise überhaupt nicht haben. Mittlerweile wohnen noch 2 andere Studenten mit im Haus, was die Runde noch ausgelassener macht und wir beschließen ohne viel nachdenken eine weitere Woche dran zu hängen, und dann noch eine. Wir hatten sicherlich mit vielem gerechnet, aber ganz sicher nicht damit, dass wir eine Herzensfamilie mitten in Guatemala finden!

Luki ist eine ausgezeichnete Köchin, was unseren Aufenthalt auch kulinarisch interessant macht, denn so kommen wir mit der authentischen guatemaltekischen Küche in Kontakt, die einiges zu bieten hat, das wir bisher noch nicht kannten. Von pikanten Suppen zum Frühstück über eine Art süßes Porridge zu Pfannkuchen mit Papaya, und Kochbananen in allen Variationen. Außerdem gibt es Pepian, ein klassisches guatemaltekisches Hühnergericht, eine Art Tamales gefüllt mit Maisbrei und einem schmackhaften regionalen Kraut, von dem wir noch nie gehört haben; und wir lernen wie man Patches macht – eine echte Spezialität, die vor allem in großer Zahl für Festlichkeiten hergestellt wird. Ähnlich Tamales, wird hierbei eine Füllung aus Kartoffeln oder Reis zubereitet mit einem Stück Fleisch in der Mitte und einer typischen Soße. Das Ganze wird in spezielle tropische Blätter eingewickelt (wir wissen bis heute nicht genau von welcher Pflanze) und dann dampfgegart, wobei die Blätter ihr typisches Aroma an die Füllung abgeben.Eine echte regionale Spezialität, die man auf jeden Fall probiert haben muss; noch besser sie gleich einmal selbst zu machen!

Trotz interessanten und schmackhaften neuen Dingen auf unseren Tellern bringt die Umstellung auf die hiesige Küche allerdings ihre Schwierigkeiten für uns mit sich. Die Portionen sind nämlich grundsätzlich eher klein; zum satt essen gibt es dafür Maistortillas und die machen buchstäblich pappsatt. Egal ob Frühstück, Mittag oder Abendessen, es gibt kein guatemaltekisches Essen ohne Maistortillas. Zubereitet werden sie per Hand an jeder Straßenecke und grundsätzlich frisch zu jeder Mahlzeit besorgt. Sie sind so günstig, dass Reste noch nicht einmal wieder aufgewärmt werden (allein die Frage danach löst ungläubiges Staunen auf Lukis Gesicht aus) sondern wirklich jedes Mal ausschließlich ganz frische Tortillas auf den Tisch kommen. Ein paar Tage lang finden wir das auch ganz toll, doch nach einer Woche können wir keine Maistortillas mehr sehen, geschweige denn essen. Unsere Verdauung protestiert irgendwann gegen die permanente Maisüberladung und wir erklären unseren Gastgebern schließlich, dass sie für uns ersteinmal keine Tortillas mehr einplanen brauchen. Stattdessen besorgen wir uns auf dem Markt frisches Gemüse, dass unsere Verdaung wieder in Gang bringt und werden dafür mit verwunderten Blicken betrachtet. So aufgewachsen ist es einfach völlig unbegreiflich für einen echten Guatemalteken, wie es ein Essen ohne Maistortillas überhaupt geben kann. Aber das Ganze ist auch kein Problem und schnell gewöhnt man sich an den Anblick von Karotten oder Gurkenscheiben als Beilage auf unseren Tellern.

Weben, pflanzen, kochen

Bisher waren wir überhaupt noch nicht in den Genuss irgendwelcher anderer Aktivitäten der Schule gekommen. Davon gibt es zwar jede Menge – von Wandern und Ausflügen über Kochen und traditionellen Handarbeiten zu Besuchen bei der Landbevölkerung, doch waren wir in den ersten zwei Wochen mit unserem Spanischpensum derart ausgelastet, dass wir absolut keine Energie übrig hatten für irgendetwas anderes. Erst als wir in der dritten Woche den Unterricht auf zwei Stunden pro Tag reduzieren, haben wir schließlich auch wieder Lust zu anderen Dingen.

Wir lernen traditionelles Weben – etwas, dass hierzulande jede Frau kann und schon von Kind auf lernt. Guatemala ist bekannt für seine prächtigen handgewebten Stoffe. Von Anfang an begeistert von diesen wirklich einmaligen Handarbeiten, kaufen wir zum ersten Mal auf dieser Reise so richtig ein – so viel sogar, dass wir aus Platzmangel ein Paket nach Deutschland schicken müssen. Aber so etwas gibt es eben nur hier. Versucht man es dann einmal selbst mit dem Weben, ringt es einem noch viel größeren Respekt für die Handarbeit ab. Wir stellen jedenfalls fest, dass es ein wirklich mühsames und extrem aufwendiges Unterfangen ist, ein simples 5 cm breites Stück Stoff herzustellen – in nur einer Farbe. Wie diese Frauen das auch noch mit den filigransten Mustern hinbekommen, bleibt uns ein Rätsel, lässt uns aber die Arbeiten umso mehr schätzen. Von einem einheimischen Mädchen lernen wir, Armbänder zu knüpfen, in der Schulküche werden wir in die Geheimnisse von “Mole con Platano” (einem genialen Dessert, bei dessen Gedanken allein mir beim Schreiben das Wasser im Mund zusammen läuft) eingeweiht und ich pflanze im Garten einer indigenen Familie einen Avocadobaum. Eines der Projekte der Schule ist nämlich, die indigene Landbevölkerung zu unterstützen und dabei den ausländischen Sprachschülern die guatemaltekische Kultur näher zu bringen. So geht es eines Vormittags für mich und ein paar andere Mädels zusammen mit Candelaria auf eine abenteuerliche Pick-up Fahrt in die umliegenden Berge. Jede von uns hat einen jungen Obstbaum dabei, den wir jeweils einer bedürftigen Familie spenden, mitsamt einem Wasserfilter, der schon vorher von anderen Studenten gespendet wurden. Der Vormittag wird für alle Beteiligten ein aufregendes Erlebnis – allein die Fahrt auf der offenen Ladefläche des Pick-ups im üblichen Verkehrschaos und später über holprige Sandpisten ist ein Erlebnis für sich. Und dann bekommen wir Einblicke in das Leben der Menscher hier, die wir sonst wohl nie bekommen würden. Für die Einheimischen bietet der Tag ein genauso aufregendes Erlebnis, denn es ist höchst selten dass sich Ausländer in so abgelegene Ecken verirren. Überall ist die Freude auf beiden Seiten groß; es werden herzlich Hände geschüttelt, Haus und Garten gezeigt, gelacht und wir bewundern abermals die geniale Fingerfertigkeit der Frauen beim Weben. Unnötig zu erwähnen, dass die Menschen hier teilweise in den allerärmlichsten Verhältnissen leben. Das Wort “Haus” ist in den meisten Fällen eine komplette Überbewertung, denn oft sind es die einfachsten Lehmhütten ohne Fenster oder Tür. Jedem noch so kleinen Stück Land wird in der bergigen Region versucht etwas Essbares abzugewinnen und manchmal sind die Hänge, auf dem der Garten angelegt ist so steil, dass uns fast schwindelig wird, als wir zu der vorgesehenen Stelle für den Obstbaum kraxeln. Abschließend besuchen wir noch zusammen eine Schule und eine neue Bibliothek, die beide von Jabel Tinamit unterstützt werden – ein berührender Tag, der uns höchsten Respekt für die Menschen und ihr raues Leben hier abgewinnt und einmal mehr den eigenen Horizont erweitert.

So vergehen die Tage und Wochen wie im Flug, unser Spanisch verbessert sich täglich, wir freuen uns immer ausgedehntere Unterhaltungen mit unserer Familie führen zu können und sind dennoch wehmütig bei dem Gedanken, dass unser Zeit trotz allem hier begrenzt ist und wir bald wieder aufbrechen werden. Doch dann passiert etwas, dass wieder einmal alle Pläne kurzerhand zunichte macht und unseren Aufenthalt nun plötzlich und unfreiwillig gleich ganz gewaltig verlängern wird: Gary findet zu seinem Entsetzen ein Leck in der Kurbelwellendichtung. Wir tauschen sorgenvolle Blicke aus und schnell wird uns klar, dass wir vor der Weiterreise unbedingt ein Ersatzteil brauchen – hierher nach Guatemala. Das bedeutet, wir sitzen jetzt fest – auf vorläufig unbestimmte Zeit.