Mit der Fähre auf’s Festland – ein echtes mexikanisches Erlebnis
(29. – 30. März 2016)
Mit der Fährüberfahrt von La Paz nach Mazatlan auf dem mexikanischen Festland fängt das „richtige“ Mexiko an. Was damit gemeint ist wissen wir noch nicht so genau, werden es jedoch sehr bald herausfinden. Früh am Nachmittag erreichen wir den Hafen von La Paz um genügend Zeit zu haben für alle Formalitäten. Diesmal ist das Gelände weitaus voller als vor einer Woche beim Kartenkauf; die Wartehalle für Passagiere ohne Auto ist bereits gut gefüllt und ständig kommen Busse und setzen mehr mit schwerem Gepäck beladene Leute ab. Langsam kommt uns die Ahnung, dass es vielleicht gar keine so gute Idee war, direkt für den Dienstag nach Ostern zu buchen. Wir hatten nicht erwartet, dass so viele Einheimische über die Feiertage verreisen würden, und außerdem angenommen, dass der große Heimreisetag der Ostermontag sein würde – doch damit hatten wir uns offensichtlich getäuscht.
Abfahrt „a la mexicana“
In der Nachmittagshitze reihen wir uns in die Autoschlange im Terminal ein; bisher ist alles noch wie wir es von anderen Fährüberfahrten gewohnt sind, doch das ändert sich schnell als das Beladen anfängt. Plötzlich heißt es nämlich für alle Beifahrer aussteigen. Nur der Fahrer darf im Auto auf das Schiff, alle anderen müssen zu Fuß über die Laderampe an Bord gehen. Nicht nur wir schauen etwas verdutzt, auch sämtliche andere Passagiere hatten anscheinend mit so etwas nicht gerechnet und immer wieder hören wir ein empörtes „Porque?“ (Warum?). Unser Spanisch reicht nicht aus um Fragen zu stellen und so steige ich aus und stelle mich in die Schlange der Beifahrer. Zum Glück habe ich meinen Pass im Rucksack dabei, denn dieser wird nun noch einmal von allen Fußpassagieren verlangt – obwohl er auch schon am Eingang kontrolliert wurde und niemand es bis hierher schafft ohne diesen vorzuweisen. Anschließend werden wir angewiesen den Markierungen auf dem Boden zu folgen. Es geht durch das Ladedeck, dann durch eine Tür und schließlich auf steilen Treppen über viele Stockwerke hinauf bis ganz nach oben. Nicht jeder hier ist gut zu Fuß und manch einer müht sich schwer schnaufend und schwitzend in der heißen stickigen Luft eine Stufe um die andere hinauf. Schließlich oben angekommen herrscht ein ziemliches Chaos. Es wimmelt von Menschen, die kreuz und quer durcheinander laufen und ihre Familienangehörigen suchen. Ich treffe Gary, der ein Gesicht zieht, an der „Rezeption“ wieder, einem kleinen Raum, in dem die Schlüssel für die Kabinen verteilt werden – wenn man denn eine hat. „Der da“, er zeigt auf einen beleibten Mann nicht weit von uns, „hat gerade in den Mülleimer da drüben gekotzt!“, berichtet er angewidert. Na da scheint ja gut loszugehen… Noch nicht einmal abgelegt werden schon die ersten seekrank; oder schlimmer noch – irgendein Magen-Darm Virus ist an Bord! Wir können nur hoffen, dass das die Nachwirkungen vom Restalkohol der Osterparty sind und nicht das ganze Schiff binnen kürzester Zeit die Fische füttert. Mit unserem Schlüssel in der Hand geht es wieder ein Stockwerk nach unten zu unserer Kabine und wir sind ehrlich gespannt was uns hinter der Tür erwartet. Das Wort Kabine ist dabei in weitestem Sinne zu sehen, denn es ist mehr eine Koje mit Stockbetten im Stil der 70er Jahre – und schaut auch so aus als wäre seitdem hier nichts mehr gemacht worden. Die Betten machen zum Glück noch einen ganz guten Eindruck – ganz im Gegensatz zum Bad: Als wir die Tür öffnen, kommt uns eine äußerst übler Geruch nach Schimmel und irgendeinem aggressiven chemischen Putzmittel entgegen. Es ist zwar einigermaßen sauber, doch der Gestank ist fast unerträglich und so bleibt nur eins: Luft anhalten beim Toilettengang, so schnell wie möglich wieder raus und auf gar keinen Fall duschen! Trotzdem sind wir sehr froh um unsere Kabine, denn wie sich herausstellt ist das Schiff rappelvoll ausgebucht bis auf den allerletzten Platz – was auch bedeutet, dass denjenigen die eine Kabine haben, kein Sitzplatz außerhalb davon zusteht. Wenn man sitzen will, bleibt man also in seiner fensterlosen Koje, ansonsten geht nur stehen, aber selbst dazu ist drinnen nicht viel Platz. Es gibt allerdings das Außendeck, was Treffpunkt für alle zu sein scheint und den passenden Namen „El Parque“ trägt. Schon vor der Abfahrt ist die Party hier in vollem Gang: An einem kleinen Stand werden Cola, Wasser, alkoholische Getränke und Knabberzeug verkauft. Aus mehreren Lautsprechern tönt mexikanische Partymusik und alle sind gut drauf und ausgelassen. Unter schallenden lateinamerikanischen Rhythmen legen wir schließlich ab und lassen La Paz und die Baja hinter uns. Ein warmer Wind weht uns um die Nase und wie immer sind wir gespannt und aufgeregt wenn es mit einer Fähre ins Ungewisse geht.
Das Schiff ist allem Anschein nach eine alte ausrangierte niederländische Fähre, die offensichtlich ihre besten Jahre bereits hinter sich hat. Schon in der Kabine waren uns die europäischen Steckdosen aufgefallen. Und auch der Rettungsplan und sämtliche andere Anweisungen sind in niederländischer Sprache beschrieben. Daneben sind diese Anweisungen noch in Englisch und Deutsch überstetzt – nicht jedoch in spanisch. Und nun als wir hinten auf dem Schiff stehen und nach unten schauen entdecken wir noch etwas höchst Beunruhigendes: Die Heckklappe geht nicht komplett zu! Fassungslos schauen wir auf einen riesigen Spalt zwischen Schiffswand und Klappe und fragen uns gerade, ob wohl beim Schließen irgendetwas eingeklemmt wurde. Doch nach näherer Betrachtung erkennen wir, dass diese Rampe gar nicht vollständig geschlossen werden kann, denn sie passt einfach nicht! Offenbar hatte man, als die Originalklappe nicht mehr funktionierte sie einfach ausgetauscht gegen irgendetwas, was nur halbwegs passt! Wir schauen uns an und müssen lachen: Willkommen im wahren Mexiko! Gut, das wir nicht auf den offenen Ozean hinausfahren. Wir können nur hoffen, dass nicht irgendein Unwetter aufzieht und meterhohe Wellen direkt ins Schiffsinnere befördert.
Nach einer Weile auf dem Außendeck haben wir fürs erste genug neue Eindrücke gesammelt und begeben uns wieder zurück in unsere Kabine. Auf dem Weg dorthin werden wir gleich von mehreren verzweifelt aussehenden Passagieren angesprochen, die uns allesamt Geld anbieten um mit in unserer Kabine übernachten zu können. Kein Wunder: Die 2 oder 3 engen Säle, in denen sie einen Platz haben sind vollgestopft mit Menschen und deren Habseligkeiten. Die Klimaanlagen funktionieren mehr schlecht als recht und so ist es dort überall heiß, stickig und alles andere als angenehm. Die Leute tun uns schon leid, doch noch völlig überwältigt von den ganzen neuen Eindrücken, lehnen wir kopfschüttelnd ab und sind einmal mehr froh, die Kabine frühzeitig gebucht und somit eine Rückzugsmöglichkeit aus dem bunten Zirkus zu haben. Wir schließen die Tür hinter uns, lassen uns erst einmal auf die Matratzen fallen, dösen eine ganze Weile zum gleichmäßigen „Tok Tok Tok“ des Schiffsmotors und genießen das sanfte Schaukeln.
„Essen fassen!“
Am Abend wartet ein echtes Highlight auf uns: die Essensausgabe! Abendessen und Frühstück sind für alle im Preis mit inbegriffen und wir sind gespannt was es wohl gibt. Womit wir allerdings nicht gerechnet hatten ist wie das Ganze abläuft. Um 19:00 sollen wir uns in der Kantine einfinden, so viel wurde uns mitgeteilt. Als wir aber eine Viertel Stunde vorher schonmal schauen wollen, verschlägt es uns fast die Sprache: bereits jetzt hat sich eine Riesenschlange gebildet, die einmal durch die gesamte Kantine führt, aus dieser heraus, rund herum an der Außenwand des angrenzenden Passagiersaals und aus diesem auch wieder heraus ins Treppenhaus! Die Situation noch nicht so ganz begriffen, wollen wir eigentlich nur mal schauen was es denn eigentlich zu essen gibt (und ob sich die Ansteherei überhaupt lohnt). Doch als wir auch nur in die Nähe der 2. Eingangstür (eigentlich der Ausgagstür) zur Kantine kommen, werden wir sofort zurückgewiesen. Da steht doch tatsächlich ein Uniformierter mit Schlagstock, bewacht die Tür und passt darauf auf, dass niemand aus der Reihe tanzt! „Wahnsinn“, denken wir und reihen uns in das hintere Ende der Schlange ein. Natürlich geht es um 19:00 Uhr noch lange nicht los und so wird es eine laaange Warterei bis wir auch nur einen Blick auf das Essen werfen können. Doch niemand ist hier schlecht gelaunt deswegen. Die Stimmung an Bord ist immernoch ausgesprochen gut, trotz stickiger Luft, sich die Beine in den Bauch stehen und dichtem Gedränge. Anscheinend sind alle außer uns solche Szenen gewohnt und niemanden scheint es zu stören. Nach ungefähr 2 Stunden Warterei, sind wir dann tatsächlich an der Reihe und lassen uns einen Teller mit einer Art Frikasse, Reis, Bohnen, Nachos, verschiedenen Salsas und einem ganzen Stapel Maistortillas geben. Platz zum Essen gibt es hier allerdings keinen mehr und so begeben wir uns aufs Außendeck wo wir uns zusammen mit vielen anderen auf eine der wenigen Bänke zwängen. Vom Essen selbst sind wir angenehm überrascht: Trotz Großküche schmeckt es weitaus besser als erwartet und nach der ganzen Warterei haben wir auch ordentlich Hunger.
Partynacht auf See
Mittlerweile ist es dunkel geworden und wir spüren zum ersten Mal so richtig deutlich, dass wir uns in den Tropen befinden: Noch nie konnten wir auf einem Schiff einfach in T-Shirts und kurzen Hosen draußen sitzen und schon gar nicht nachts. Doch hier ist es kein kalter Wind, der einem um die Nase weht, sondern ein angenehm sommerlich warmer. Es ist herrlich so völlig ungezwungen nachts auf See draußen sein zu können und den warmen Wind auf der nackten Haut zu spüren. Mit einem Bier in der Hand genießen wir dieses Gefühl und bekommen auch mit wie sich die Einheimischen die Zeit vertreiben. Nach dem Motto „Es gibt immer einen Grund zu feiern“ ist die Musik jetzt ein gutes Stück lauter und das Deck voller gut gelaunter Leute. Vor allem ein Spiel scheint hier ganz beliebt zu sein: „Rayuela“ Dabei wirft man mit Münzen in Richtung einer Wand. Derjenige, der es schafft am nähesten an die Wand heranzukommen ohne diese jedoch zu treffen gewinnt und kann alle anderen Münzen behalten. Bald befindet sich eine ganze Traube Menschen um das Geschehen herum und es wird sich gegenseitig kräftig angefeuert. Die Stimmung ist ausgelassen und es schaut nicht so aus als wollte hier irgendjemand bald schlafen gehen. Wir sind allerdings irgendwann hundemüde nach dem ereignisreichen Tag und lassen uns in unserer Koje vom schaukelnden Schiff in den Schlaf wiegen.
„Mas o Menos“
Beim Frühstück am nächsten Tag sind wir etwas schlauer und erscheinen daher gar nicht erst pünktlich sondern eine Weile später, doch die Schlange ist auch jetzt nur unwesentlich kürzer und es wiederholt sich das gleiche Prozedere wie am Vorabend. Das Frühstück selbst hat erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Abendessen, außer das es statt dem Frikasse jetzt Eier gibt. Draußen merken wir, dass es nun deutlich wärmer ist als noch auf der Baja. Trotz immernoch weiter Entfernung vom Festland ist es schon jetzt ziemlich heiß, was uns einen Vorgeschmack auf das dortige Klima gibt. Auf dem Außendeck geht es mittlerweile gemütlicher zu. Anscheinend waren einige Leute der stickigen Luft entflohen und hatten es vorgezogen lieber unter freiem Himmel zu schlafen. Zumindest liegen einige immernoch entspannt auf ein paar Decken auf dem Fußboden.
Als es auf die geplante Ankunftszeit zugeht, ist allerdings weit und breit noch kein Land in sicht. Wir hatten uns so etwas schon gedacht und schauen daher nur mal kurz auf dem Außendeck vorbei um zu sehen wie die Lage ist; doch 2 der wenigen anderen ausländischen Touristen an Bord (ein älteres deutsches Paar mit Motorrad), sitzt dort tatsächlich pünktlich in voller Montur und mit Helm über dem Arm! Anscheinend waren sie noch zu sehr an zu Hause gewöhnt, doch deutsche Pünktlichkeit zählt eindeutig nicht zu den mexikanischen Stärken. Hier hält man sich grundsätzlich eher an „mas o menos“ (mehr oder weniger) wenn es um festgesetzte Zeiten geht. Wir ziehen uns jedenfalls nochmal für eine ganze Zeit in unsere Kabine zurück und haben noch jede Menge Zeit für ein ausgedehntes Nickerchen…
Mit 3 Stunden Verspätung kommen wir schließlich im Hafen von Mazatlan an – gespannt was uns hier wohl erwartet. Doch noch müssen wir uns gedulden, denn ersteinmal steht die komplizierte Ausladeprozedur an. Dabei verhält es sich genauso wie beim Einchecken: nur der Fahrer darf mit dem Auto von Bord; alle anderen müssen sich zu Fuß bemühen. Und nicht nur das: wir dürfen auch erst nachdem alle Fahrzeuge ausgeladen sind von Bord gehen. So drängen sich weit mehr als die Hälfte der Passagiere abmarschbereit in der Kantine zusammen und warten auf den Startschuß. Doch der läßt auf sich warten. Diesmal verlieren sogar die bisher völlig entspannten Mexikaner langsam die Geduld und immer mehr Leute fangen an sich zu beschweren. „Wie lange dauert das noch?“ „Was soll das hier überhaupt?“, hört man immer wieder. Doch die Antwort ist immer dieselbe: „Es geht gleich los.“ ‚Gleich‘ bedeutet in diesem Fall über eine Stunde und als wir dann endlich los dürfen wiederholt sich die Szene vom Vortag: In einer langen Schlange müssen alle die steilen Treppen durch den stickigen und heißen Schiffsrumpf bis ganz nach unten und über das Autodeck aussteigen. Draußen angekommen herrscht dann ersteinmal Verwirrung. Wo müssen wir denn jetzt hin? Jeder hatte angenommen, hier gleich mit seinen Familienmitgliedern wieder zusammenzutreffen, doch von denen ist weit und breit nichts zu sehen. So stehen wir alle etwas verloren auf dem riesigen Hafengelände herum und keiner weiß so richtig wohin er gehen soll. Ein Hafenarbeiter deutet schließlich in eine Richtung und so setzt sich der ganze Pulk in Bewegung zum Parkplatz. Doch auch hier sind keine bekannten Autos oder Gesichter ausfindig zu machen und so geht jeder etwas ratlos in die Richtung, die ihm passend erscheint. Ich treffe Gary schließlich am Ausgang vor der Schranke des Hafengeländes wieder. Er musste zuerst den Hafen verlassen und dann einmal komplett außen herum fahren um mich am anderen Eingang wieder einzusammeln! Beide müssen wir lachen über die hiesige Organisation, sind aber auch froh das mal erlebt zu haben. Die letzten 22 Stunden waren definitiv ein Erlebnis der besonderen Art – doch eines das wir keinesfalls hätten missen wollen!