Labrador – The Big Land

(30. Mai – 8. Juni 2015)

Labrador ist ein sehr außergewöhnliches und einmaliges Land. Seine riesige Fläche ist kaum bewohnt und seine ungezähmte Wildnis erstreckt sich soweit das Auge reichen kann ohne irgendwelche Zeichen von menschlichem Dasein. Es gibt einem ein Gefühl von Unbedeutenheit und man müsste sich noch nicht einmal besonders weit von der Straße entfernen um wirklich komplett allein und auf sich gestellt zu sein. Diese Wildheit, Stärke und scheinbare Unendlichkeit übt eine unglaubliche Anziehungskraft aus. Es gibt dort so viel zu entdecken – und noch viel mehr, dass überhaupt nicht zugänglich ist. Ohne Frage hat uns Labrador stark beeindruckt und für einen großen Teil an Abenteuer auf unserer bisherigen Reise gesorgt.

Welcome to the Big LandWelcome to the Big Land

Es ist schwierig, nicht ständig Vergleiche anzustellen zwischen unseren Erlebnissen auf der Reise und unserem vorherigen Lebensstil in Deutschland. Eines dieser Dinge, die anscheinend immer wieder einen Vergleich fordern, ist die Straßenqualität. Deutschland hat eine wirklich gute Infrastruktur und obwohl man sich dort auch schnell gerne mal über die Beschaffenheit der Straßen beschwert, muss man sagen, dass sie im Vergleich mit anderen Teilen der Welt wirklich gut und oft gewartet sind – wenngleich sämtliche Reparaturarbeiten irgendwie immer dann anzufangen scheinen wenn jeder in den Urlaub fährt…In Kanada dagegen können die Straßen ein ganz eigenes Abenteuer für sich darstellen – zumindest war das auf unserem bisherigen Weg so. Wir sind also mehr als überrascht, als wir die Fähre in Blanc Sablon verlassen und als erstes auf eine wirklich außergewöhnliche Straße fahren. Eine fantastische Straße! Quebec RoadPerfekt geteert ohne jegliche Schlaglöcher zieht sie sich kurvig durch eine raue Landschaft – ein Traum – bis uns klar wird, dass wir ja noch gar nicht in Labrador sind, sondern in Quebec. Und wie erwartet hört diese perfekte Straße auch direkt am Willkommensschild von Labrador auf und geht über in eine uns mittlerweile wohl bekannte mit Schlaglöchern übersäte Landstraße. Aber so gewöhnen wir uns gar nicht erst an diesen Luxus und können uns noch etwas im Schlaglöcher ausweichen üben bevor wir auf die ehemals längste Schotterpiste von Kanada fahren.

Trans Labrador Highway

Zu sagen, dass wir aufgeregt sind auf diese Straße zu fahren wäre fast eine Untertreibung. Ich war praktisch total begeistert aber auch nervös zur gleichen Zeit. Wie würde der Landy mitmachen? Eigentlich haben wir ihn noch nicht wirklich getestet bis jetzt. Ist die Federung in Ordnung? Wird der gerne mal quietschende Keilriemen sich entscheiden auf halbem Weg zu reißen? Land Rover sind bekannt dafür „ihr Revier zu markieren“, heißt hier und da etwas Öl zu verlieren; wie sieht es also mit dem Ölstand aus? Wir mussten ein Kugelgelenk ersetzen als wir noch in Nova Scotia waren; was ist mit dem anderen? Irgendwelche Zeichen von Verschleiß?

Wir verlassen also bei Red Bay die geteerte Straße und das Abenteuer Schotterpiste beginnt – im Omatempo – heißt mit einer Höchstgeschwindigkeit von 35 km/h. Die Einheimischen überholen uns wie Rennfahrer, schleudern Schotter auf und hinterlassen beeindruckende Staubwolken, die man höchstwahrscheinlich aus dem Weltall sehen kann. Wir erschrecken uns bei jedem Steinschlag und denken jedes Mal, dass der nächste definitiv einen schönen Riss in unserer Scheibe hinterlassen wird und ein ziemliches Loch in unserem Budget. Wir schließen die Fensterscheiben bei jedem vorbeifahrenden Auto um nicht völlig im Staub zu baden – was sich ohnehin nicht wirklich vermeiden lässt, denn der Landy ist ja noch nicht einmal zuverlässig wasserdicht… Nach einiger Zeit der Eingewöhnung wird uns die Schotterpiste aber immer vertrauter und unsere Höchstgeschwindigkeit steigert sich auf immerhin 60 km/h (erlaubt sind 70 km/h)! Allerdings passt sich unser Tempo hier der sehr variierenden Straßenqualität (und da gibt’s gewaltige Unterschiede) und der Größe der Schlaglöcher an. Man muss eigentlich ständig auf alles gefasst und voll konzentriert sein, was viel ermüdender ist als auf einer normalen Straße. Während dem Fahren in der Landschaft herumgucken geht nicht – wenn man keinen Platten riskieren will…So wechseln wir uns viel häufiger mit dem Fahren ab als sonst, damit jeder mal in den Genuß der Schotterpiste oder der Landschaft kommt.

Sicher würden einige Leute diese Straße als langweilige, staubige Piste und die Landschaft als monoton bezeichnen, aber wir empfinden das ganz anders. Vor allem in Labradors Süden verändert sich das Bild kontinuierlich und unerwartet. Erst ist es hügelig, dann bergig, dann flach mit hunderten von Seen und plötzlich wieder bergig mit gewaltigen Flüssen. Der Wald verwandelt sich in Sumpf, dieser wiederum in eine Tundraähnliche Landschaft und dann alles wieder von vorne oder in anderer Reihenfolge. Nach praktisch jeder Kurve und jedem Hügel ändert sich das Bild – wie ein Puzzel, dass jemand interessant zusammen gesetzt hat.

Driver Alert“Verpasst ja keine Tankstelle!

Schon lange bevor wir überhaupt in Labrador ankommen, mahnt uns jeder, nur ja keine Tankstelle auszulassen – besser noch extra Kanister mitzunehmen…Wir überlegen auch eine Zeit lang, ob wir das nicht tatsächlich machen sollten, schließlich wissen wir von anderen Reisenden, dass sie große Zusatztanks haben, oder 2 Reservekanister oder sogar beides. Da kommt man ja schnell ins Grübeln ob es wohl leichtsinnig wäre, sich einfach ohne diese Extras auf die Schotterpiste zu wagen. Allerdings kommen wir mit einer Tankfüllung bei unserem ohnehin gemütlichen Fahrstil mindestens 600 km weit und wir können uns beim besten Willen nicht vorstellen, dass es ganze 600 km lang nichts geben soll. Schließlich sind wir in Kanada und nicht irgendwo in der Wüste, denken wir. Und wir behalten recht: Das längste Stück zwischen 2 Tankstellen beträgt 410 km – nämlich von Port Hope Simpson nach Happy Valley-Goose Bay. Das schaffen wir locker! Es ist allerdings schon ein besonderes Gefühl an dem Schild mit der Warnung, dass nun 410 km nichts kommt vorbei zu fahren – und es kommt auch wirklich nichts. Kein Haus, keine Hütte wie wir es sonst auch in unbewohnten Gegenden gesehen haben – nichts außer zahlreichen kleinen Steinbrüchen für den Straßenbau und ab und an ein Straßenarbeitercamp – sonst gibt es nur wilde unberührte Landschaft. Wie sich das anfühlt, 410 km am Stück auf einer Schotterpiste mit absoluter Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h zu fahren ist kaum zu beschreiben. Es ist auf jeden Fall ein Erlebnis, dass wir nicht vergessen werden.

 

Sat phoneDarum, dass es nirgendwo Handyempfang gibt, hatten wir uns gar keine Gedanken gemacht – schließlich haben wir seit Neufundland sowieso keinen Empfang mehr auf unseren deutschen Nummern und uns daher schon völlig ans handyfreie Leben gewöhnt. Wir dachten einfach, falls irgendetwas sein sollte, würde schon früher oder später mal ein Auto vorbeikommen und der Fahrer hätte dann sicher ein kanadisches Handy dabei. Dass dieses dann natürlich auch keinen Empfang haben würde wird uns erst klar, als uns jemand in Happy Valley-Goose Bay darauf anspricht und uns empfiehlt, doch ein Satellitentelefon auszuleihen. „Aber das kostet doch sicher ein Vermögen.“, entgegnen wir „Nein, es ist kostenlos“, lautet die Antwort. Wir können das erstmal gar nicht glauben, aber tatsächlich gibt man uns ganz selbstverständlich im Hotel North II ein Satellitentelefon für Notfälle – wie versprochen kostenlos! Wir müssen nur unterschreiben, dass wir es in Labrador City wieder abgeben. Mit dem abenteuerlichen Gefühl, dass wir hier wirklich weit weg von allem sind, steigen wir wieder ins Auto und setzen unseren Weg nun bestens ausgerüstet fort.

Das Ende einer Ära

Die Straße von Happy Valley-Goose Bay nach Labrador City ist mittlerweile mit Ausnahme von 11 km geteert. Die letzten 11 km werden bald fertig gestellt sein und die Arbeiten für den südlichen Trans Labrador Highway haben bereits begonnen. In weniger als 5 Jahren wird die gesamte Strecke bis nach Red Bay geteert sein und die längste Schotterpiste Kanadas wird nicht mehr existieren. Es wird dann ein anderes Gefühl sein, durch dieses Land zu fahren. Wir sind beide mehr als froh darüber, dass wir diese einmalige Straße noch fahren und erleben durften – selbst wenn es nicht mehr die vollen 1000 km waren – bevor der Rest auch verschwunden sein wird.

 Was ist mit all den Karibus passiert?

Noch in Deutschland hatten wir uns ausgemalt, wie toll es wohl wäre, riesige Karibuherden zu sehen in dem Terrain, das extra für sie gemacht zu sein scheint. Aber das Einzige was wir sehen, sind Schilder, die besagen, dass die Karibujagd verboten ist. Eine Frau erzählt uns, dass sie einen Luchs gesehen hat, jemand anders erwähnt etwas von einem einsamen Wolf; aber als wir den Trans Labrador Highway entlang fahren und auch auf unseren kleinen Wanderungen Nahe der abgelegenen Dörfer sehen wir nichts außer einer endlosen fast beklemmend einsamen Landschaft.

Auf unserem gesamten Weg durch Labrador war wirklich das Einzige was wir von Karibus gesehen haben die Jagdverbotsschilder. Die George River Herde war einmal die größte Karibuherde der Welt und in ihren Bestzeiten in den 80er Jahren auf 700000 Tiere geschätzt. Wenn sie nach Süden gewandert sind, wurde die Straße für Stunden blockiert! Jetzt hat die Herde sage und schreibe 98% ihrer einstigen Größe verloren. Bei nun nur noch ca. 20000 Tieren in diesem riesigen Land ist es kein Wunder, dass wir kein Einziges gesehen haben und dass die Jagd strikt verboten ist. Um den Grund dafür zu erfahren, hängt es davon ab wen man fragt, erzählt uns ein Förster in der Nähe von Labrador City. Von einem natürlichen Zyklus, der sich ständig wiederholt über Staudämme für Wasserkraftwerke, Forstarbeiten bis hin zu kommerzieller Jagd – jeder scheint jeden für den Verlust verantwortlich zu machen, aber 100%ig ist es nicht geklärt. Sogar in der Inuit-Mythologie ist dieses Thema zu finden indem der Gott, der weit im Norden hinter gewaltigen Bergen lebt die Karibus in seinem Reich zurück hält wenn die Menschen nicht respektvoll mit ihnen umgehen. Wie auch immer; die riesige Herde ist nicht mehr da und das große Spektakel ihrer Wanderung nach Süden kann nicht mehr bewundert werden – vielleicht auch das Ende einer Ära? Oder es verläuft alles in einem Kreislauf und in Jahrzehnten ziehen wieder riesige Herden durch das weite Land…

The BearErst hinter Cartwright, sehen wir dann tatsächlich Leben in der Landschaft – in Form von 2 Schwarzbären. Der erste ergreift total verschreckt schleunigst die Flucht vor uns – ein Verhalten, dass man erwartet von einem Schwarzbären. Nur schade, dass wir nicht dazu kommen ein Foto zu machen. Der zweite Bär verhält sich allerdings recht merkwürdig als wir am Straßenrand anhalten um unser Fotografenglück erneut zu versuchen. Anstatt auch sofort im dichten Wald zu verschwinden, bewegt sich dieser hier langsam an der Straße entlang und zeigt sich nicht im geringsten beeindruckt von unserer Anwesenheit. Klick! Perfekt – jetzt haben wir unser Foto und damit den Beweis: Es gibt tatsächlich Wildtiere in Labrador! Und damit nicht genug – nach so vielen Tagen in denen sich noch nicht einmal ein Eichhörnchen hat blicken lassen, sehen wir heute gleich 2 Bären an einem Tag! Völlig begeistert pfeife und rufe ich genau wie die Sorte von Touristen, über die ich mich normalerweise lustig mache – nur damit der Bär vielleicht seinen Kopf dreht und wir das perfekte National Geographic Foto schießen…Und der Bär dreht auch tatsächlich seinen Kopf; und dann mehr als nur den Kopf. Der Kopf mit dem Rest des Bären bewegt sich langsam in Richtung unseres Autos zu. The BearPlötzlich scheint es mir gar keine gute Idee mehr zu sein, Geräusche wie aus einem Zoo zu machen. Und sicher wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, sich eiligst aus dem Staub zu machen bevor der Bär seinen Kopf durch die geöffnete Fensterscheibe stecken und freundlich nach etwas Senf passend zu Frederike fragen würde. Im Gegensatz zu mir saß sie die ganze Zeit ruhig da und überlegte nur, ob der Bär vielleicht krank sein könnte. Wahrscheinlich bedauerte sie es auch, nicht ihr Stethoskop dabei zu haben und mich schaute sie an als ob ich den Verstand verloren hätte bei all den lustigen Geräuschen die ich gerade von mir gegeben hatte. Für einen Moment dachte ich, dass sie vielleicht aussteigen und bei dem Bären Fieber messen würde, oder was auch immer ein Tierarzt sonst so macht. Glücklicherweise tat sie das aber nicht. Später finden wir heraus, dass dieser Bär höchstwahrscheinlich von Straßenarbeitern angefüttert wurde (eine eigene Diskussion für sich…), was sein merkwürdiges Verhalten durchaus erklären würde.

Planung kontra Realität

Da Labrador wirklich nur die eine Hauptstraße hat, ermöglicht uns das praktischer Weise an fast jedem kleinen Ort vorbeizukommen, den es auf der Strecke gibt. Wenn man auf eine Karte schaut, sieht man hunderte Seen und Flüsse entlang des Weges. Es sollte also überhaupt kein Problem sein hier zu campen, denn es müsste ja irgendwo kleine Straßen oder Wege geben, die zu diesen ganzen Seen und Flüssen führen. Also sollte es auch Unmengen an genialen Campingplätzen geben – so dachten wir zumindest. Nun ja, die Realität sieht meist anders aus als die eigenen Vorstellungen…

Eine Problem, das uns sozusagen täglich herausfordert ist es eben einen geeigneten Campingplatz zu finden. Um ehrlich zu sein, kann uns diese Sucherei manchmal ganz schön nerven. Zusammen mit den Wetterbedingungen und persönlichen Stimmungen kann das auch mal zu Gereiztheit und gegenseitigem Anzicken führen, was bisher eine eher seltene Angelegenheit zwischen uns war. Aber das ist eine der besonderen Herausforderungen, mit denen man umgehen lernen muss auf so einem Abenteuer, denn hier sind wir mit ganz anderen Situationen konfrontiert als zu Hause.

In bewohnteren oder touristischeren Gegenden hat man meist die Wahl, sich einen „wilden“ Platz zu suchen oder bis zum nächsten Campingplatz zu fahren (wenn er denn offen ist) und dafür zu bezahlen. In Labrador hat man diese Wahl nicht, denn mit Ausnahme von ein oder zwei im Süden, gibt es einfach keine Campingplätze. Also muss man selbst einen Platz finden, nur dass die Suche sich ganz entgegen unserer Annahme etwas anspruchsvoller gestaltet – oder man darf nicht wählerisch sein. Man hat die Wahl zwischen nicht gerade einladenden Haltestellen direkt neben der Straße, Zufahrtsstraßen zu ehemaligen Steinbrüchen (wenn man überhaupt eine findet, die nicht gesperrt ist), oder zum nächsten Ort zu fahren und dort nach der einen Straße suchen, die an einem wunderschönen See, einer Bucht oder einem Fluss endet mit Picknicktisch und Feuerstelle. An diesem Punkt sollte ich erwähnen, dass diese Straße auch nach intensiver Suche seit dem Beginn unserer Reise nirgendwo existiert und wahrscheinlich auch nie existieren wird. (Warum sollte jemand auch so eine Straße bauen, ohne am Anfang ein Gatter und am Ende ein Haus dort hinzustellen?) Aber wir geben die Suche nicht auf und vielleicht finden wir sie ja eines Tages doch noch.

Auch wenn wir nicht den Bilderbuchcampingplatz schlechthin gefunden haben, so konnten wir doch vor allem mit Hilfe von sehr freundlichen und hilfsbereiten Leuten an ein paar durchaus schönen Stellen unser Lager aufschlagen. Alles in allem also eine ziemlich gute und abenteuerliche Campingerfahrung in dem weiten Land.

Ein seltsames Phänomen

 An einem Abend während unserer Lagersuche geraten wir auf eine Straße, die uns zur lokalen Müllhalde führt. Ich benutze das Wort „Müllhalde“ hier mal in weitesten Sinn, denn eigentlich ist es ein Kahlschlag im Wald, wo einfach jeder seinen Müll ablädt (natürlich ungetrennt, denn Mülltrennung existiert nicht) und alte Autos zum verrotten da lässt – das totale Chaos. Plastiktüten und sämtliche andere nicht mehr benötigte Sachen der Zivilisation sind über den gesamten Platz verteilt, was mehr aussieht, als wäre hier gerade ein Mülltransporter explodiert – was für ein Alptraum! Das Buffet für die Möwen schien eröffnet zu sein und sie lieferten sich beeindruckenden Kämpfen um die besten Stücke. Ein Murmeltier befand sich anscheinend auf der Suche nach etwas ganz Bestimmtem, bis es unsere Anwesenheit bemerkte. Bären lassen sich die Gelegenheit, im Abfall herumzuwühlen auch nicht entgehen, wie man uns später berichtet. Nicht gerade der beste Platz zum Übernachten, denken wir und drehen schleunigst um.Die Müllhalde

Es erscheint uns, dass je mehr Platz und je weniger Leute da sind, desto weniger werden sich Gedanken um den Müll gemacht. Wir haben das Gefühl, dass es eine „Aus den Augen, aus dem Sinn“ Mentalität ist oder weil es so viel Platz gibt, kann man es einfach irgendwo hinschmeißen ohne dass es gleich sichtbare Auswirkungen hat. Wir haben dieses Phänomen nun schon in verschiedenen wenig bewohnten Gegenden beobachten können – es ist also bei weitem kein kanadisches Problem. Im dicht besiedelten Deutschland muss man sich Gedanken um den Müll machen und er wird getrennt in Bio, Plastik, Dosen, Flaschen (grün, weiß, braun), Papier und schließlich Restmüll. Es ist natürlich (leider) nicht so, dass die meisten Leute sich daran halten weil alle ausgesprochene Naturliebhaber mit Weitsicht sind, nein, es kostet einfach viel mehr wenn man alles unsortiert in den Restmüll schmeißt! Das Problem in wenig bevölkerten Regionen ist unserer Meinung nach, dass der Schaden, der entsteht erstmal nicht gleich zu erkennen ist, so dass sich nur langsam ein Bewusstsein dafür entwickelt. In abgelegenen Orten gibt es oft auch gar nicht die entsprechende Infrastruktur um erfolgreiches Recycling überhaupt durchführen zu können. Außerdem ist es fast unmöglich, Leute zu erwischen, die einfach ihren Müll irgendwo abladen um ein paar Cents zu sparen – also hat man wahrscheinlich lieber einen Platz, der aussieht wie ein explodierter Müllwagen als hunderte von kleinen selbst ausgesuchten Stellen.

Eine Frage von Stolz uns Respekt

Fast jeder den wir in Labrador getroffen haben war stolz auf sein Land – so stolz, dass die Frage von 2 Touristen nach einem Neufundland und Labrador Aufkleber (also der „offiziellen“ Provinzfahne) fürs Auto mit seltsamen Blicken beantwortet wurde. Labrador hat seine eigene Flagge und es gibt keinen einzigen Shop, der die „offizielle“ Flagge verkauft oder irgendetwas, dass Labrador zusammen mit Neufundland als eine Provinz ausweist. Natürlich haben wir den Labradoraufkleber gekauft und werden ihn mit Freude an unserem Auto anbringen. Es ist eine stolze Flagge mit Symbolen und Bedeutung. Von den vielen Leuten, die wir getroffen haben waren sie ohne Ausnahme unglaublich herzlich, freundlich und generell sehr stolz ein „Labradorian“ zu sein. Aber während ein Teil der Bevölkerung ihren Stolz so offen zeigt, scheinen Teile einer anderen Bevölkerungsgruppe nicht nur den Stolz auf ihr Land verloren zu haben, sondern auch ihre Herkunft und vielleicht sogar sich selbst.

InukshukUnser Besuch in Happy Valley-Goose Bay und im speziellen North West River konfrontiert uns mit dem oft schwierigen Thema der indigenen Völker von Kanada. Wir haben nicht im speziellen danach gesucht, aber wir wollten auch nicht einfach die Augen verschließen und weiterfahren.

Die Spiritualität und Traditionen der Ureinwohner interessieren Frederike sehr und da sie keine Vorstellung von deren heutigem Leben hatte, wollte sie unbedingt auch sehen, was ein Reservat ist. Das Konzept eines Reservates ist schwierig zu beschreiben und ich komme da manchmal selbst durcheinander – weiß ich doch aus Dokumentationen und eigener Erfahrung, dass sich ein Reservat vom anderen extrem unterscheiden kann. Also entscheiden wir uns das Reservat bei North West River – Sheshatshiu – zu besuchen. Wir dachten beide, dass es ziemlich respektlos wäre dort reinzufahren wie Touristen auf einer Safari und so war von vorn herein klar dass keine Fotos gemacht werden. Also fahren wir so still und unauffällig wie es geht durch die Straßen und nehmen nur die Erinnerung und die Emotionen mit, die dieser Besuch bei uns ausgelöst hat. Apathie. Gebrochen. Aufgegeben. Hoffnungslosigkeit. Wut. Das sind die Worte die uns einfallen als wir die meist herunter gekommenen Häuser mit teilweise vernagelten Fenstern sehen, den Müll, der sich mengenweise um die Häuser auftürmt und die schöne moderne Schule, deren Fenster fast alle mit Steinen eingeschlagen sind.

Wir möchten hier nicht den Eindruck erwecken, dass es in jedem Reservat so ist. Wir haben bisher nur dieses eine besucht und können nicht für andere sprechen.

Nach diesem nachdenklichen Besuch treffen wir eine Inuit Frau und sprechen mehrere Stunden mit ihr über die Geschichte der Ureinwohner Labradors. Eine Geschichte voller Stolz und Respekt. Wie sie das Land und die Tiere respektierten. Verschwendung in irgendeiner Form war als Sünde angesehen, die unweigerlich Konsequenzen durch die Geister, die über die Tiere und das Land wachen nach sich ziehen würde und wie sehr das im Gegensatz zu dem steht, was wir gerade erfahren haben. Sie waren stolz auf ihr Land und ihre Kultur, erzählt sie uns. Aber das war natürlich alles vor dem europäischen Einfluss, bevor aufgezwungene Internate die Kinder von ihren Familien wegnahmen und ihnen eine andere Kultur aufzwungen. Bevor ein vor allem nomadisch lebendes Volk dazu gedrängt wurde sich anzusiedeln und ihnen gesagt wurde wo und wie sie zu siedeln hatten.

Sogar Leute, die noch ganz im Sinne der alten Traditionen leben werfen teilweise achtlos ihren Müll einfach irgendwo hin. Als Entschuldigung führen sie an, dass das bißchen an Schaden, dass sie damit anrichten wohl kaum mit dem zu vergleichen sei was die großen Firmen getan haben – alles im Namen des Fortschritts.

Es ist natürlich einfach, Schuldzuweisungen zu machen, aber wir stellen unsere schwierigen und heiklen Fragen und bekommen ehrliche und tiefgründige Antworten.

Der Lebensstil der Ureinwohner wurde komplett und unwiederbringlich verändert, man könnte sagen domestiziert. Ihr Selbstwertgefühl und Stolz verschwand und hinterließ ein Loch, das nur allzu leicht gefüllt wird mit Alkohol- und Drogenmissbrauch. Eine Kultur in der Müll nicht existierte wurde ersetzt durch eine, in der fast alles was man kauft in irgendeiner Form von Müll verpackt ist. Sie haben wirklich eine faszinierende und reiche Kultur auf die sie mit Recht Stolz sein können – wenn nur diejenigen, die ihren Weg verloren haben das auch sehen und wiederbeleben könnten.

Das Gespräch und der Besuch gehen uns noch lange durch den Kopf und trüben unseren Besuch in Happy Valley-Goose Bay etwas, aber ich würde nicht sagen, dass es ein negatives Erlebnis war – eher ein sehr intensives und emotionales. Uns ist bewußt, dass wir hier ein sehr komplexes und heikles Thema ansprechen und es gibt vieles, dass damit noch nicht gesagt wurde und über das man diskutieren kann… aber es ist nun einmal Teil von diesem Land und hat uns emotional sehr berührt.

Unsere Reise durch Labrador war nicht wie wir es erwartet hatten. Eigentlich wussten wir gar nicht so richtig was wir zu erwarten hatten. Wir dachten mehr dass die Schotterpiste das einzige Abenteuer sein würde; aber wie sich heraus gestellt hat ist es viel viel mehr. Es war eine Zeit gefüllt mit Herzlichkeit und unglaublicher Gastfreundlichkeit, tiefgründigen Gesprächen über nicht gerade einfache Themen und einmalig schöner Landschaft. Labrador, Du hast jetzt einen besonderen Platz in unseren Herzen!

Ein besonderer Ort – ein besonderes Danke Schön

Wir haben viele tolle Leute in Labrador kennen gelernt und würden einigen gerne besonders danken: Der gesamten Crew vom Alexis Hotel in Port Hope Simpson dafür dass wir uns bei kaltem Wetter in ihrer Lobby aufhalten durften, auf ihrem Parkplatz übernachten und duschen! Jason in Cartwright für das sehr interessante Gespräch, das fantastische Essen und ein Bett im Warmen – wir hoffen, du kannst bald nach Fiji gehen! Dem Bürgermeister von Happy Valley-Goose Bay, Jamie Snook, für das gute Gespräch und die Übernachtungstipps; Oh und bleib beim nächsten Fußballspiel ohne Verletzung! Den Damen vom North West River interpretation center für die interessanten Geschichten und tiefgründigen Gespräche. Chuck Porter und Familie, dass wir bei eurem Cottage campen durften, die fabelhaften Toutons und das unglaublich gute Gespräch! Wallace and Theresa für heißen Tee und Kaffee und Frühstück im Warmen an diesem kalten und verschneiten Junimorgen.

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